Kyrillfläche bei Altenteich (Hilchenbach) 2016 Foto: Matthias Mennekes
...war das Titelthema der Mitgliederzeitschrift "Natur und Umwelt in Siegen-Wittgenstein" Augabe 2017. Darin fanden sich ein Beitrag von NABU-Mitarbeiter und Revierförster Matthias Mennekes sowie ein Kommentar von Markus Fuhrmann. Insbesondere letzterer veranlasste Diethard Altrogge, Forstamtsleiter Forstamt Siegen-Wittgenstein, und Martin Sorg, Revierleiter in der Försterei Kindelsberg, zu einem Leserbrief, in dem sie Aussagen von Markus Fuhrmann entgegentreten. Da der Umfang der Leserzuschrift den eines üblichen Leserbriefes überschreitet, wird diese, im Namen des Regionalforstamtes, nun hier auf der Homepage veröffentlicht.
Im Anschluss an den Leserbrief finden Sie den Kommentar von Markus Fuhrmann und den Beitrag von Matthias Mennekes.
Leserzuschrift:
Sehr geehrte Damen und Herren,
im NABU-Heft Jahrgang 25, Heft 2017 hat Markus Fuhrmann in einem “Kommentar“ Anmerkungen zum Orkan Kyrill/Jan. 2007 gemacht, die in vielen Punkten die Realität in den Wäldern Siegen-Wittgensteins nicht widerspiegeln und z.T. jede Sachlichkeit und Fachkompetenz vermissen lassen.
Diethard Altrogge, Forstamtsleiter Forstamt Siegen-Wittgenstein, und Martin Sorg, Revierleiter in der Försterei Kindelsberg wollen deshalb wie folgt entgegnen:
1. Aussage Markus Fuhrmann zum Orkan Kyrill:
„Mein Gott, was hatte ich mich gefreut"
Antwort:
Unabhängig von der Polemik und dem Ansatz “vieler neuer Aussichten im Wald“ sollte man wissen, dass im Bereich unseres Forstamtes eine Schadfläche von rund 5.000 Hektar und, inklusive Folgeschäden, weit über drei Millionen Festmeter Holz angefallen sind. Dies führte bei unzähligen Waldbesitzerfamilien zu teilweise katastrophalen Einschnitten in ihr Betriebseinkommen, ihre Altersabsicherung, ihre Lebensplanung und den forstlichen Generationenvertrag. Vielen Waldbesitzern wurde in dieser Nacht ihr Wald vollständig zerstört. Ein solcher Ausspruch zeugt von wenig Einfühlungsvermögen und muss für derart getroffene Waldeigentümer wie ein Schlag ins Gesicht wirken.
2. Aussage Markus Fuhrmann:
"Wahnsinn dachte ich damals, endlich passiert etwas im Wald"
Antwort:
Wenn Herr Fuhrmann mit offenen Augen durch die Wälder gehen würde, müsste er eigentlich festgestellt haben, dass gerade im Forstamt Siegen-Wittgenstein die Abkehr vom Altersklassenwald, von einförmigen und krisenanfälligen Wäldern in vielen Bereichen, insbesondere im Genossenschafts-,Kommunal- und Staatswald, schon längst in vollem Gange ist. Seit 1987 greifen die Prinzipien der naturgemäßen Waldwirtschaft im öffentlichen Wald, im betreuten Wald ist sie die Grundlage der täglichen Beratungsarbeit der Försterinnen und Förster vor Ort. Genau nach diesen Prinzipien arbeiten wir seit über 40 Jahren und dies wurde im Rahmen der alljährlich durchgeführten „Naturschutz-Spaziergänge“ auch Herrn Fuhrmann wiederholt vorgestellt.
3. Aussage Markus Fuhrmann:
"Waldwege, seinerzeit seit Kyrill durch völlig überdimensionierte Fahrzeuge zerstört, auch jetzt wieder in einem Zustand, der es einem 40-Tonner erlaubt, durch den Wald zu fahren"
Antwort:
Gut angelegte Waldwege in einer akzeptablen Wegedichte sind für eine multifunktionale Forstwirtschaft erste Voraussetzung. “Grobe Teerabfälle“ so wie Herr Fuhrmann es aufführt, sind bei Waldwegebauten streng verboten und den vielen Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer gegenüber eine Unterstellung. Auf den Rückegassen im Wald sind selbstverständlich auch nach wie vor Lebensräume, wie zum Beispiel Laichplätze für Amphibien, vorhanden.
4. Aussage Markus Fuhrmann:
"Großflächig wurde vor allem Douglasie gepflanzt"
Antwort:
Die Douglasie war schon vor den Eiszeiten bei uns vertreten und heimisch, genauso wie die Weißtanne. Beiden Baumarten sollte, gerade auch im Zuge des Klimawandels, ein angemessener Platz in Mischung mit Buche, Fichte oder auch Bergahorn, dem typischen Bergmischwald in unserer Region, eingeräumt werden, wie es jetzt auch geschieht. Großflächige Douglasienreinbestände sind eher die Ausnahme.
Auf vielen Flächen wird die Douglasie mangels Samenbäumen als Ergänzung zur aufkommenden Naturverjüngung der vorhandenen Baumarten eingebracht. – Man kann Mischbestände nämlich anlegen, oder, unter Einbeziehung sukzessionaler Elemente, einfach „zulassen“. Dies geschieht vielerorts im Forstamtsbereich.
5. Aussage Markus Fuhrmann:
"Was ist also nach 10 Jahren Kyrill geblieben? Nicht viel aus Sicht des Naturschutzes"
Antwort:
Wenn man bedenkt, dass wir es im Kreis Siegen-Wittgenstein überwiegend mit Privatwald zu tun haben, bei dem die betriebswirtschaftliche Ausrichtung wesentlich ist, dann finden wir es umso bemerkenswerter, welche Änderungen bei der Waldbewirtschaftung nach Kyrill zu verzeichnen sind, die auch den Waldnaturschutz betreffen. Hier beispielhaft nur einige Aspekte:
Ø Die Sturmschadensflächen waren ehemals zu annähernd 100 % mit Fichten (meist im Reinbestand und als Altersklassenwald) bestockt. Heute finden wir stattdessen nur noch etwa 20 % mit reiner Fichte wieder bestockt, 80 % (!) sind Laub- und Laub-Nadelholzmischbestände geworden. Auf vielen ehemaligen Kyrill-Flächen wachsen heute 8-10 unterschiedliche Baumarten.
Ø Auf kleinstandörtliche Verhältnisse wurde bei der Baumartenwahl erheblich mehr Rücksicht genommen als in der Vergangenheit
Ø Weichlaubhölzer wurden bei der Wiederbewaldung in das Waldbaukonzept einbezogen und nicht mehr als „forstliches Unkraut“ aus den Kulturen entfernt.
Birken, Ebereschen, Weiden und Aspen sind auf vielen Kulturflächen mit erheblichen Stückzahlen vertreten.
Ø Auf einigen Kilometern Länge sind neue Alleen aus überwiegend Laubbäumen entlang der Waldwege entstanden, die das Landschaftsbild bereichern und wichtige ökologische Funktionen erfüllen werden. Sie knüpfen an die Tradition der im Siegerland zum Teil noch vorhandenen historischen Laubengänge an.
Ø Waldaußen- und -innenränder sind vielerorts erstmals angelegt worden.
Ø Wurzelteller der geworfenen Fichten wurden bewusst nicht zurückgeklappt, sondern stellen in den Kulturflächen wichtige Habitat- und Strukturelemente dar.
Viele dieser Leistungen erbringen die Waldbesitzer unentgeltlich ohne Inanspruchnahme von Fördermitteln und unter Zurückstellung wirtschaftlicher Belange.
Dass bei der Bewirtschaftung von Privatwald in der Regel kein Naturschutz pur zur Anwendung kommen wird, dürfte jedem klar sein. Auch erheben wir nicht den Anspruch, bei der Wiederbewaldung nach Kyrill alles richtig gemacht zu haben. Wir sind allerdings der Meinung, dass wir uns mit unserer Art der Waldbewirtschaftung in allen Waldbesitzformen, auch unter ökologischen Gesichtspunkten, nicht zu verstecken brauchen und dass es sich dabei schon gar nicht um „dumme Entscheidungen“ handelt, mit denen nach Aussage von Herrn Fuhrmann weitere Stürmen in den kommenden Jahrzehnten hoffentlich aufräumen werden.
An dieser Stelle sei auch an die umfangreichen Naturschutzaktivitäten, gerade im öffentlichen Wald, erinnert. 500 Hektar Wildnisgebiet im Staatswald, wo keinerlei forstliche Aktivität stattfindet, 350 Hektar in einer Fläche sogar in privater Hand in Wittgenstein. Auf gemeinsamer Grundlage mit allen Mitarbeitenden im Forstamt haben wir eine Richtlinie zum Naturschutz im Wald erarbeitet, die unser tägliches Tun draußen bestimmt. Im Staatswald und im Kommunalwald ist sie Vorgabe, im betreuten Wald Handlungsrichtlinie bei der Arbeit der Försterinnen und Förster vor Ort.
Wir sind der Meinung, dass uns (Waldbesitzer, Forstleute, amtlicher und ehrenamtlicher Naturschutz) beim Waldbau, mehr eint als trennt. Die alljährliche gemeinsame Exkursion wie auch viele Beispiele in den Revieren vor Ort bestätigen dies. Mit derart einseitigen Darstellungen in der Öffentlichkeit, wie dem o. a. Kommentar werden allerdings Gräben ausgehoben, die ein gemeinsames Agieren zukünftig erschweren können und unserem gemeinsamen Ziel, nämlich einer Waldbewirtschaftung, bei der die Belange der Natur nicht zu kurz kommen, mehr schaden als nützen.
Von Seiten des Forstamtes hoffen wir daher, dass auch die von uns genannten Aspekte wahrgenommen und kommuniziert werden. Gerade Pädagogen wie Herrn Fuhrmann kommt dabei im Rahmen der Umweltbildung an Schulen eine wichtige Rolle zu.
Arbeiten wir nicht alle an der Schaffung nachhaltiger Strukturen oder besser im Sinne einer „enkeltauglichen Zukunft“?
Martin Sorg und Diethard Altrogge
Kommentar
von Markus Fuhrmann in der "Natur und Umwelt in Siegen-Wittgenstein", Ausgabe 2017
Erinnern Sie sich noch?
Vom 17. auf den 18. Januar 2007 fegte der Orkan Kyrill über Mitteleuropa. In der Spitze erreichte der Sturm 225 Stundenkilometer und legte auch in Siegen-Wittgenstein ganze Wälder nieder. Am Morgen des 18. Januar sah unsere Landschaft vielerorts völlig anders aus.
Mein Gott, was hatte ich mich gefreut. Da waren zum einen die vielen neuen Aussichten auf unsere Landschaft. Ausblicke, die ich von Bildern aus Kindertagen kannte. Überall gab es Lücken im Wald und im Verlauf der nächsten zwei bis drei Jahre sollten wirkliche blühende Landschaften entstehen.
Die „Verwüstungen“ sollten so groß und verheerend sein, dass die Aufarbeitung des umgebrochenen Holzes Jahre dauern würde. Forstpflanzen fehlten und so wollte man viele Flächen der natürlichen Sukzession überlassen. Diejenigen Flächen, die aufgeforstet werden sollten, sollten eines Tages stabile Wälder werden, die dem drohenden Klimawandel standhalten würden.
Wahnsinn dachte ich damals, endlich passiert etwas im Wald. Der Sturm wurde also als Chance begriffen!
Doch was blieb von diesen Absichten übrig? Nicht viel wie ich meine. Zum einen wurde das Holz unglaublich schnell aufgearbeitet. Aus ganz Europa kamen Söldnerheere von Waldarbeitern und sägten das Holz in transportfähige Stücke. Container aus Übersee fuhren durch die Wälder und wurden in aller Eile mit Fichtenholz nach Asien vollgestopft. Waldwege wurden durch die völlig überdimensionierten Fahrzeuge zerstört und wieder in Stand gesetzt - jetzt jedoch in einem Zustand, der es einem 40tonner erlaubt durch den Wald zu fahren.
Und da wir in Deutschland sehr gründlich sind, wurden gleich fast alle anderen Waldwege mit groben Teerabfällen oder Schotter befestigt. Das Geld floss reichlich aus Brüssel und anderswo her. Lebensräume für erdbewohnende Insekten wurden gleich dauerhaft zerstört, wie auch Ersatzlebensräume für Amphibien in den Wagenspuren, die es vor Kyrill noch vielerorts gab.
Ja und dann der Waldumbau. Anstatt an heimische Wälder zu denken, wurden großflächig vor allem Douglasien gepflanzt, die das Bundesamt für Naturschutz für eine invasive Art hält. Bleibt zuletzt nur noch die Sukzession übrig? Auch dass ließen die Verantwortlichen praktisch nicht zu. Da inzwischen vom Land NRW (die Grünen leiten das Umweltministerium!) auch die Anpflanzung von Nadelholz gefördert wird, sind inzwischen in weiten Teilen des Kreisgebietes auch die vielen kleinen Lichtungen mit zumeist Douglasien bepflanzt worden. Schade!
Was ist also nach 10 Jahren Kyrill geblieben? Nicht viel aus Sicht des Naturschutzes. Wieder einmal wurde eine richtungsweisende Entscheidung für mehr Natur in unserem Land vertan. Nachdem nun auch die letzten schönen Aussichten im Wald langsam zuwachsen bleibt nur zu hoffen, dass weitere Stürme in den kommenden Jahrzehnten mit diesen dummen Entscheidungen der letzten Jahre aufräumen werden. Bleibt zu hoffen, dass dann kluge und weitsichtige Köpfe an den entscheidenden Stellen sitzen, damit es zu einem wirklichen, zukunftsfähigen Waldumbau kommt.
Markus Fuhrmann
Beitrag
von Matthias Mennekes in der "Natur und Umwelt in Siegen-Wittgenstein", Ausgabe 2017
Bilanz nach 10 Jahren Kyrill
2017 jährt sich der Orkan Kyrill zum zehntenmal. Zu diesem Anlass hat es bereits einige Pressegespräche, Beiträge in den Print-Medien, Hörfunk und Fernsehen gegeben. Ich möchte in diesem Artikel daher auch gar nicht erneut auf die enormen Anstrengungen eingehen, die erforderlich waren, die bei Kyrill gefallenen Bäume aufzuarbeiten und die Folgeschäden in Grenzen zu halten. Vielmehr möchte ich eine Bilanz ziehen, wie sich Kyrill in dem von mir betreuten Forstrevier in den vergangenen zehn Jahren ausgewirkt hat. Ich beschränke mich deshalb auf dieses Waldgebiet, weil ich es vor und nach Kyrill kenne und somit Vergleiche anstellen kann. Da es sich um einen Beitrag für die Zeitschrift Natur und Umwelt in Siegen Wittgenstein handelt, lege ich den Schwerpunkt auf die Auswirkungen für den Naturschutz.
Nachfolgend einige Kenndaten dieses
Waldgebietes:
● Staatswald des Landes NRW, Wald und Holz NRW
● Südwestlicher Rothaarkamm und Westabdachung nach Hilchenbach
● Fläche ca. 2.200 Hektar, Ausdehnung rund 21 Km²
● Höhenlage 440 bis 673 m ü. NN
● Waldanteil 90 %, entspricht 1990 HA
● Laubholz/Nadelholzverhältnis 50 : 50 %
● Hauptbaumarten Buche und Fichte
● Jahreseinschlag Holzernte ca. 12.000 FM
● Holzernte ca.1/3 motormanuell 2/3 hochmechanisiert (Harverster u. kombinierte Verfahren)
● Sturmholzmenge bei Kyrill, Emma: rd. 80.000 FM
● Nördliche Revierteile Pilotprojekt naturnahe Waldwirtschaft (seit 1982)
● Seit 1990 kahlschlagsfreie, naturnahe Bewirtschaftung auf ganzer Fläche
Besonders die beiden letzten Punkte sind auch im Hinblick auf den Naturschutz wichtig, da die schon frühzeitige Umstellung auf eine naturnahe Bewirtschaftung sich positiv auf die weitere Waldentwicklung nach Orkanen ausgewirkt hat.
Bodenschäden
Ohne Frage hat auch die Holzaufarbeitung des Sturmholzes zu Befahrungsschäden geführt. Es wurde aber auch unter diesen erschwerten Bedingungen möglichst darauf geachtet, dass die eingesetzten Maschinen nur auf Rückegassen fuhren und eine flächige Befahrung unterblieb. Viele diese Fahrspuren sind auch heute noch erkennbar und werden auch weiterhin genutzt, auch wenn der Verlauf nicht immer optimal ist. Aber so kann weiteren Bodenschäden vorgebeugt werden.
Walderschließung
Die umfangreichen Holzmengen, die innerhalb kurzer Zeit anfielen, mussten über ein vorhandenes Wegenetz abtransportiert werden, dass auf diese Belastungen nicht ausgelegt war. Viele Wege waren in einer Zeit gebaut und befestigt worden, als die Tonnage der verwendeten Fahrzeuge nur die Hälfte der heute üblichen Ladungskapazität betrug. Hinzu kam, dass bei Kyrill die Holz-Lkw Sondergenehmigungen für erhöhte Lasten erteilt bekamen.
Alle Wege wurden daher nach dem Abtransport des Sturmholzes nach und nach instand gesetzt. Für die zusätzliche Befestigung wurden ausschließlich in geringem Umfang waldeigenes Felsmaterial und hauptsächlich Steinmaterial (Tonschiefer und Grauwacke) aus hiesigen Steinbrüchen verwendet. Recyclingmaterial oder sonstige Fremdstoffe waren von Anfang an ausgeschlossen. Die Wegehärtung wurde der ursprünglichen Fahrbahnbreite angepasst und nur in Ausnahmefällen (etwa in engen Kurven) den heutigen Bedürfnissen angeglichen. Bäume in Wegenähe wurden teilweise entnommen, bzw. Wegeseitenstreifen wurden bei notwendigen Wiederaufforstungen nicht bepflanzt, um entlang der Wege die Sukzession der Waldinnenränder zu fördern. Schon bald säumten Gräser, Wildkräuter, Sträucher und Bäume die Waldwege, wo vorher die Bäume des Hauptbestandes dicht bis an die Fahrbahn standen.
Aufarbeitung des Sturmholzes
Dank der schon frühzeitigen Umstellung auf die naturnahe Waldwirtschaft waren sehr viele der von Kyrill besonders hart betroffenen Altbestände im Voraus verjüngt. Entweder hatte sich durch frühzeitige Auflichtung über starke Durchforstungen schon eine natürliche Verjüngung der vorhandenen Baumarten etabliert oder es war bereits eine künstliche Verjüngung durch Voranbau einer Baumart vorhanden, die bisher nicht in dem jeweiligen Waldbestand anzutreffen war. Typisches Beispiel ist der Voranbau mit der heimischen Rotbuche unter Fichtenreinbeständen. Solche Voranbauten wurden bereits vor und werden auch nach Kyrill intensiv vorgenommen, um langfristig Nadelholzreinbestände in Mischbestände umzubauen.
Auf diesen Kyrillflächen, auf denen bereits eine Waldverjüngung vorhanden war, wurde die Holzaufarbeitung besonders schonend durchgeführt, um möglichst viel dieser Vorausverjüngung zu erhalten. Der Einsatz von Großmaschinen, der, bedingt durch unsachgemäße Planung und Vorbereitung, leider oft in Verruf gerät, war hierbei der Schlüssel zum Erfolg. Dort wo auch Buchenaltholzbestände der Macht des Orkans nicht standgehalten hatten, wurde das Sturmholz mit Hilfe eines Baggers der oberen Leistungsklasse aufgearbeitet. Anstelle einer Baggerschaufel hatte dieser eine Greifzange, mit der ganze Bäume, nach dem Abstocken mit der Motorsäge, angehoben und auf die Rückegasse gelegt werden konnten. Hier konnten dann die Waldarbeiter unter wesentlich weniger Gefahr das Holz aufarbeiten. Die vorhandene Waldverjüngung wurde dabei fast vollständig erhalten. Ähnlich positiv wirkten sich die Aufarbeitung des Nadelholzes mit dem Harvester aus, da dieser ebenfalls in der Lage ist, die Windwurfstämme aus einem Verhau heraus zu heben und nach und nach in die gewünschten Sortimente zu verarbeiten. Dort wo stärkeres Nadelholz motormanuell von Waldarbeitern mit der Motorsäge aufgearbeitet wurde, kamen immer leistungsstarke Kranseilschlepper zum Einsatz. Auch diese sind durch den aufgebauten Starkholzkran in der Lage Stämme anzuheben und so unter möglichst großer Schonung der Verjüngung aus dem Bestand zu rücken.
Nach der Holzaufarbeitung
Da, wie schon zuvor erwähnt, die überwiegende Zahl der Kyrillflächen bereits über eine zumindest teilflächige Waldverjüngung verfügten, war für uns absolut klar, dass es keinerlei Flächenvorbereitung geben wird, um eventuelle zusätzliche Pflanzungen zu vereinfachen. Alles Restholz (Kronenreste, Astholz, Bruchstücke, Wurzelstöcke) wurde, so wie es lag, auf den Kyrillflächen belassen. Wurzelteller, die noch mehr oder weniger senkrecht standen, wurden ebenfalls nicht zurückgeklappt und hier und da wurden ganz bewusst auch mal Teilflächen gar nicht aufgearbeitet. Hierdurch wurden Strukturen geschaffen, die sich für viele Tierarten sehr vorteilhaft auswirkten. Diese ungeräumten Flächen boten und bieten nach wie vor reichhaltige Struktur durch wechselnde Bewuchs- und Bodenverhältnisse. Gerade die Holzreste und Wurzelteller geben Kleinvögeln ideale Nist- und Brutmöglichkeiten und bieten Schutz vor Feinden. Im Schutz dieser Strukturen wachsen aber auch Waldbäume heran, die bei Kyrill vielleicht gerade mal Sämlinge waren. Auf einer geräumten, möglicherweise sogar gemulchten Fläche hätten diese gar keine Chance gehabt.
Wiederaufforstung und Baumartenwahl
Nach der Aufarbeitung erfolgte eine Inventur auf den Flächen, auf denen nahezu der gesamte Altholzbestand vollständig vom Sturm geworfen wurde, oder aber starke Verlichtungen die Folge waren. Erfreulicherweise konnten wir sehr bald feststellen, dass es nur sehr wenige Kyrillflächen gab, die noch keine Waldverjüngung aufwiesen. Somit waren wir in der komfortablen Lage, lediglich Wiederaufforstungen als Ergänzungspflanzungen vornehmen zu müssen. Kleinere Kyrillflächen blieben dabei ganz überwiegend außen vor, da sich auf diesen, wenn auch langsam, innerhalb von ca. zwei Baumlängen und abhängig von der Baumart, ohnehin wieder von selbst eine Naturverjüngung einstellen wird. Auf den großen Kyrillflächen wurden durch überwiegend Pflanzung, aber auch schon mal durch Saat, Baumarten eingebracht,
die zuvor nicht dort vorkamen. Typisches Beispiel ist die Traubeneiche, die auf wenigen, südexponierten Standorten eingebracht wurde, wo sie sich gegen die Konkurrenz aus Buche und Fichte langfristig behaupten kann. Außerhalb des FFHGebietes „Rothaarkamm und Wiesentäler“, wo ein aktiver Nadelholzanbau ausgeschlossen ist, wurde aber auch mit Nadelhölzern wiederaufgeforstet. Neben Weißtanne und Europäischer Lärche kam hier auch die umstrittene Douglasie zur Verwendung. Anders als noch im letzten Jahrhundert, wurde die Douglasie in den hiesigen Kyrillflächen nicht als Baumart gepflanzt, die irgendwann einen Reinbestand bilden soll, sondern sie wurde in einem Weitverband eingebracht, um die schon vorhandene Verjüngung zu ergänzen. Die Bedenken, die gegen den Anbau dieser Baumart sprechen sind durchaus nachvollziehbar, aber die positiven Eigenschaften sollten dabei auch nicht übersehen werden. Die Fähigkeit über längere Zeiträume mit wenig Wasser auszukommen und ihre unbestreitbare Sturmfestigkeit, beides Dank der tiefen Wurzelbildung im Erdreich, lassen vermuten, dass die Douglasie den Folgen des Klimawandels besser angepasst sein wird, als zum Beispiel die Fichte. Viele junge Douglasien haben aber nur ein kurzes Leben gehabt. Trockenheit nach der Pflanzung, Fegeschäden durch Wild, Druck durch Nassschnee usw. haben die ursprüngliche Anzahl deutlich reduziert. Nachgebessert wurde nur da, wo die Ausfälle extrem hoch waren, ansonsten reichte uns eine lockere Beimischung zur Stabilisierung der heranwachsenden Jungwüchse. Neben der Verjüngung der Wirtschaftsbaumarten wurden gemäß unserer Leitlinie für eine naturnahe Waldwirtschaft auch alle übrigen Baumarten in den Kyrillflächen übernommen, die sich im Laufe der Folgejahre einstellten. Neben den Weichlaubhölzern wie Vogelbeere, Birke, Faulbaum und Weide hat sich eine Baumart nach Kyrill schlagartig wieder an vielen Stellen etabliert, wo in der Nähe auch nur einzelne Altbäume stehen blieben. Der Bergahorn gehört eindeutig zu den Gewinnern nach Kyrill, denn er benötigt viel Licht und eine gute Nährstoffversorgung und frische Standorte. Eingezwängt im geschlossenen Buchenaltholz hat er kaum Chancen, aber auf den Kyrillflächen kann er sich ungestört entfalten. Weiterhin wurden in den Waldrändern auch Vogelkirschen und auf den moorigen oder wasserbeeinflussten Standorten Moorbirken und Roterlen gepflanzt.
Jungbestandspflege
Auf Kyrillflächen, die überwiegend mit Fichte verjüngt waren, wurde in den letzten Jahren damit begonnen, eine Jungbestandspflege durchzuführen. In den Fichtenpartien werden diese mittels rückentragbarer Motorfreischneider vereinzelt, um den verbleibenden Bäumchen bessere Wuchsbedingungen zu verschaffen. Das hat natürlich zunächst nichts unmittelbar mit Naturschutz zu tun, aber im Zuge dieser Maßnahme werden grundsätzlich auch alle Laubhölzer und seltenere Mischbaumarten begünstigt, indem die Fichten in deren direkter Umgebung gefällt werden. Hierdurch gelingt es, Mischbaumarten am Leben zu halten, die ansonsten in der dichten Fichtenverjüngung untergehen würden.
Artenschutz
Herbe Rückschläge hat es durch Kyrill bei den Vogelarten gegeben, die auf alte Waldbestände angewiesen sind. Leider gingen viele dieser Bestände in der Kyrillnacht zu Boden und damit auch etliche Horstbäume. Allein in meinem Revier wurden zwei aktiveSchwarzstorchhorste mit den Horstbäumen und dem nahezu gesamten umgebenden Bestand geworfen. Auch dürften einige Horste von Greifvögeln wie Habicht, Wespenbussard,Mäusebussard oder Rotmilan und auch von Kolkraben geworfen worden sein. Dazu etliche Buchen mit Höhlen vom Schwarzspecht. Trotzdem ist keine dieser Arten nach Kyrill verschwunden. Schwarzstorchbeobachtungen sind nach wie vor möglich und auch andere Arten haben alternative Brutmöglichkeiten gefunden. Auch das werte ich als Vorteil eines naturnah bewirtschafteten Waldes. Mischung der Baumarten und Struktur im Waldaufbau sind nachweislich die besten Voraussetzungen, die verheerenden Auswirkungen solcher Orkane zu minimieren. Manchen Revierteilen sehen außen stehende Besucher oft gar nicht an, dass dort ein Orkan für eine massive Absenkung der Altholzvorräte gesorgt hat. Überall zwischen den verbliebenen Altbäumen, die einzeln oder in Gruppen noch stehen geblieben sind, wächst ja schon längst eine Zwischenschicht aus jüngeren Bäumen und ganz unten füllen die ganz jungen Bäumchen die Lücken. Dazwischen finden sich immer noch kleinere Flächen, wo keine Bäume wachsen. Gut für die Insektenarten, die viel Licht und Wärme brauchen. Und auf den ganz großen „Kahlflächen“ (die natürlich keine sind) finden auf einmal Arten wie Raubwürger, Neuntöter oder Schwarzkehlchen Nahrung und Brutmöglichkeiten. Eine Erfolgsgeschichte einer Tierart hat sicher auch etwas mit Kyrill zu tun. Seit etwa 2004 gab es erste Beobachtungen von
„wilden Katzen“ in meinem Revier. Obwohl alle äußeren Merkmale für Wildkatzen sprachen, brachten erst in den Jahren 2009 und 2010 durchgeführte Untersuchungen, welche im Rahmen der Erkundung für eine Fernstraßentrasse vom Landesbetrieb Straßen NRW in Auftrag gegeben wurden, die sichere Bestätigung, dass es sich um Wildkatzen handelt. Die über Genanalysen und auch durch Lebendfänge nachgewiesenen Wildkatzen kamen hauptsächlich im Staatswald zwischen Dreiherrnstein und Lahnhof vor. Die Waldstrukturen sagen also dieser nach wie vor eher seltenen Tierart zu, denn die Wildkatze benötigt neben Wald-Grünlandstrukturen auch deckungsreiche Lebensräume, wo sie in der Lage ist bei ausreichendemNahrungsangebot ihre Jungen geschützt auf zu ziehen.
Fazit
Natürlich war Kyrill und alles was damit in Zusammenhang steht kein Zuckerschlecken und hat auch mich viel Nerven gekostet. Zurückblickend, und ich bin mittlerweile alt genug und habe nicht nur Kyrill sondern auch schon weitere Orkane erlebt, möchte ich vorsichtig feststellen, dass Kyrill aus der Sicht des Naturschutzes zunächst keine Katastrophe war. Einige Arten haben unmittelbar ihre gewohnten Brutstätten verloren, aber auch Ausweichmöglichkeiten gefunden. Artenvielfalt und Strukturreichtum auf den Kyrillfächen sind gegenüber den vorherigen Waldbeständen häufig größer geworden. Die Katastrophe für den Natur- und Artenschutz kam vielfach erst durch das, was der Mensch aus den Kyrillflächen gemacht hat. Flächenräumungen mit vollständiger Beseitigung der Resthölzer, Zurückklappen der Wurzelteller, womöglich auch noch Zusammenschieben der Schlagreste oder Verbrennen oder, noch extremer, vollflächiges Mulchen mit anschließender Bepflanzung auf absolut kahler Fläche in „ordentlichem“ Pflanzverband (in weiten Teilen des Sauerlandes sogar als Weihnachtsbaumkulturen auf vorherigen Waldflächen) schaffen nur Monotonie und sind keine Bereicherung für den Natur- und Artenschutz. Seit meinem Forststudium Anfang der 80er Jahre bin ich Anhänger einer naturnahen Waldwirtschaft, die die Abläufe im Naturwald auf den Wirtschaftswald zu übertragen versucht. Die Grenzen sind allerdings dann immer erreicht, wenn es an die Holzernte geht, denn die findet im Naturwald ja nicht statt. Insofern ist die Entnahme von Holz aus dem naturnahen Wald eine Vorwegnahme der natürliche Alterungs- und Absterbeprozesse im Naturwald. Durch bewusstes Belassen von einzelnen Altbäumen und vor allem auch von stehenden und liegenden Totholz kann das sicherlich etwas kompensiert werden. Dazu kommt auf jeden Fall auch die Akzeptanz, natürliche Entwicklungen im Wirtschaftswald zu zulassen und auch in Teilbereichen ganz auf die Holznutzung zu verzichten, wie dies zum Beispiel in den Wildnisentwicklungsgebieten der Fall ist. Leider ist das alles in weiten Teilen unserer Wälder (und auch in vielen Köpfen) alles andere als selbstverständlich. Zu teuer, zu schwer umzusetzen, Öko-Spinnerei, unwirtschaftlich und was auch immer an Gegenargumenten ins Feld geführt wird. Für meinen Forstbetriebsbezirk kann ich nur sagen, dass es Freude bereitet diesen Wald betreuen zu dürfen. In über 25 Jahren habe ich eine unglaubliche Walddynamik erlebt und auch die wirtschaftlichen Zahlen sprechen für eine naturnahe Waldwirtschaft.
Matthias Mennekes